In welchem Verhältnis stehen Familienleben und Dienst am Reiche Gottes für professionelle Gottesdiener? Darüber schreibt Karl-Heinrich Bender 1972 in einem Aufsatz mit dem Titel "Jesus Christus, der Herr über unser Leben und Dienen":
Jesus Christus, der Herr, erwartet von uns, daß Leben und Dienst sinnvoll und wesenhaft aufeinander bezogen sind. Jesus Christus ist nicht nur der Herr über unseren Dienst, sondern auch über unser Leben und umgekehrt. Eine Zweiteilung unseres Lebens in Dienst der Verkündigung und Privatleben darf es nicht geben.
Es ist ja immer wieder einmal gesagt worden, der Bote Jesu gleiche einem Briefboten. Es komme nur darauf an, daß der Briefbote verantwortungsbewußt, treu und gewissenhaft die Briefe zustelle, das Privatleben interessiere nicht, das sei ganz und gar Sache und Angelegenheit des Briefboten selber. Und so, wurde die Meinung laut, sei es auch mit den Boten Christi. Hauptsache, daß der Brief Gottes richtig zugestellt werde, das Privatleben des Zustellers sei etwas ganz anderes. Wenn wir aber die Schrift befragen, so wird hier ganz eindeutig die Einheit von Leben und Dienst gesehen. Eine Aufspaltung kennt die Bibel nicht. Jesus Christus ist der Herr über unser Leben und über unseren Dienst. Unser Wandel, und das heißt doch, unsere ganze Lebensführung, Lebensgestaltung und unser Lebensvollzug im Alltag soll unter der gestaltenden Kraft des Evangeliums stehen. Es gibt eine unaufgebbare Verklammerung von Botschaft und Bote, von Verkündigung des Evangeliums und dem persönlichen Leben des Verkündigers. Leben und Dienst sollen aus einem Guß sein. Wer das geistliche Mühen um die Einheit von Leben und Dienst aufgibt, lauft Gefahr, daß er das, was er am Sonntag predigt, im Alltag durch sein Leben aufhebt und zerstört. Er streicht mit seinem Leben das verkündigte Evangelium durch. Der Apostel gibt uns in jenem bekannten Wort 1. Korinther 9,27 Einblick in das ernste Ringen, in dem er diesbezüglich stand, wenn er sagt: "Nicht, daß ich anderen predige, und selbst verwerflich werde." Und Paulus, der in diesem Ringen stand, gibt Timotheus die apostolische Weisung "Sei ein Vorbild den Gläubigen im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Geist, im Glauben und in der Keuschheit" (1. Timotheus 4, 12). Es geht ganz schlicht darum, daß wir unsere ganze Persönlichkeit an unseren Herrn ausliefern. Wenn Jesus der Herr unseres Lebens und Dienstes ist, dann geht es dabei um die totale Beschlagnahmung unserer ganzen Existenz. Das heißt allerdings nicht, daß Knechte Jesu Christi eine Art christliche "Paradepferde" oder christliche "Superstars" werden. Vorbild der Gläubigen sein bedeutet auch nicht, hochüberlegene Idealfigur darstellen, sondern vielmehr ein Zeugnis dafür sein, was die umgestaltende Kraft des Evangeliums vermag (siehe 1. Timotheus 1,16).
In diesem Zusammenhang muß nun auch die Familie, das Haus des Knechtes Jesu Christi erwähnt werden. Ich weiß um das unsachliche und ungeistliche Urteil über Prediger- und Pastorenhäuser und Kinder. Darüber könnte an dieser Stelle sehr viel gesagt werden. Dennoch wollen wir uns sogleich dem zuwenden, was die Schrift darüber sagt. Für unser Leben und Dienen, dazu auch für unser Haus, hat Paulus klare Weisung gegeben, wenn er sagt: "Es soll aber ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittlich, gastfrei, lehrhaft, der seinem eigenen Hause wohl vorstehe, der gehorsame Kinder habe mit aller Ehrbarkeit. So aber jemand seinem eigenen Hause nicht weiß vorzustehen, wie wird er die Gemeinde Gottes versorgen?" (1. Timotheus 3, 2. 4. 5) Das sollen wir gewiß nicht als ein drückendes und hartes Gesetz verstehen. Aber wie schwer ist der Dienst, wenn Mann und Frau und Kinder nicht in einem Geiste, in einer Liebe, in einem Glauben und in bereitwilligem Gehorsam stehen. "Es ist ein Unglück, wenn der geistliche Dienst eines Knechtes Jesu Christi einerseits und eine ungeistliche Ehe und Familie andererseits nebeneinander herlaufen oder gar kraß auseinanderklaffen." Unsagbar groß und reich ist der Segen, wenn Dienst, Leben, Person, Haus und Familie unter der beherrschenden Macht Jesu Christi und seines Evangeliums stehen. Wir können dies nicht für uns selbst machen, es bleibt allemal Geschenk unseres Herrn. Es ist aber unsere Aufgabe, daß wir darum ringen und beten, daß auch unser Leben, unser Dienst, unsere Familie aufeinander bezogen sind.
Karl-Heinrich Bender, "Jesus Christus, der Herr über
unser Leben und Dienen", in: Der Reichgottesarbeiter 3/1972
zitiert nach http://alt.rgav.de/akzente/alteHefte/72-3.doc
Es macht betroffen, wie Karl-Heinrich Bender die Familie sieht: Rein funktional auf das Dienen und den Diener bezogen. Familie ist Mittel zum Zweck. Gedanken macht er sich ausschließlich um ein Mitglied der Familie: Den Gottesdiener. Nur um ihn sorgt er sich: "Es ist ein Unglück, wenn der geistliche Dienst eines Knechtes Jesu Christi einerseits und eine ungeistliche Ehe und Familie andererseits nebeneinander herlaufen oder gar kraß auseinanderklaffen." Hier offenbart sich eine furchtbare Wahrnehmungsblockade, ein Ausblenden der Wirklichkeit, eine Verweigerung von Mitgefühl. Über die Kinder so einer Knechtsfamilie hat Karl-Heinrich Bender nur die folgenden Worte übrig: "Ich weiß um das unsachliche und ungeistliche Urteil über Prediger- und Pastorenhäuser und Kinder." Aber damit möchte er sich nicht auseinandersetzen, sondern sich "sogleich dem zuwenden, was die Schrift darüber sagt." Diesen Aspekt des Gottesknecht-Daseins muss man unbedingt im Auge behalten: Was in der Schrift steht ist wichtiger und wirklicher, als das, was man in der Wirklichkeit wahrnimmt oder wahrnehmen könnte.
Karl-Heinrich Bender plädiert allen Ernstes dafür, die Familie für den Dienst am Herrn auszubeuten, sie zu instrumentalisieren, zu missbrauchen, sie zu verraten. Mann, Frau und Kinder sollen "in einem Geiste, in einer Liebe, in einem Glauben und in bereitwilligem Gehorsam stehen". Machen wir uns klar, was das bedeutet: Es ist der Mann, der sich dafür entschieden hat, ein Gottesdiener zu sein. Im Fall seiner Frau kann man noch argumentieren, dass sie sich als Erwachsene selbst für dieses Leben entschieden hat. Sie hätte ihren Mann nicht zu heiraten brauchen. Aber für die Kinder gilt dies nicht. Niemand hat sie gefragt, ob sie den "einen Glauben" teilen und "in bereitwilligem Gehorsam stehen" wollen. Ihnen wird dieser Anspruch aufgedrängt, und sie sind die schwächsten Mitglieder der Familie, ohne die geringste Chance, sich dagegen zu wehren.
Der propagierte Anspruch der Einheit von Dienst und Familienleben, von Gottesknecht und Knechtsfamilie führt zu einer Verwischung der Grenzen der Personen. Die Person des Gottesdieners bläht sich gewissermaßen auf und umfasst die gesamte Familie. So wie es mich angeht, was mein Arm oder mein Bein tut, so empfindet der Gottesknecht bei dem was seine Frau und seine Kinder tun. Ebenso fühlen die Kinder und die Frau die Gefühle des Gottesdieners bei dem, was sie tun. Dies ist der Nährboden für ernste psychische Probleme, denn keines der Mitglieder dieses Systems ist sich emotional darüber im klaren, wo seine eigenen Grenzen sind. Das, was ein anderer tut, wirkt emotional so, als tue man es selber, ohne aber die Kontrolle darüber zu haben, weil es ja ein anderer ist, der es tut. Solche familiären Verstrickungen können für die Kinder lebenslange Konsequenzen haben.
Das ganze schreibt Karl-Heinrich Bender in der Zeitschrift "Der Reichsgottesarbeiter" (heute: "akzente") der Reichsgottesarbeiter-Vereinigung (RGAV). Zielgruppe dieser Zeitschrift sind hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "in Verkündigung und Seelsorge", die vorwiegend in landeskirchlichen Gemeinschaften, innerkirchlichen Werken und Kirchengemeinden arbeiten. Und die meisten dieser Gottesdiener haben Familie. Wie kann ein Mann eine solche Aufforderung zum massenhaften Missbrauch der Familie - insbesondere der Kinder - durch professionelle Gottesdiener veröffentlichen? Warum fällt ihm niemand in den Arm? Warum erhebt sich kein Sturm der Entrüstung? Die bittere Wahrheit lautet: Es ist nicht der Ausrutscher eines aus dem Ruder gelaufenen Eiferers, sondern der wohlüberlegte, in hundert Jahren verfestigte und kanonisierte Grundsatz der Gemeinschaftsbewegung und ähnlicher Gruppierungen, in allen Ausbildungsstätten gelehrt, von allen, die im Dienst stehen, persönlich verinnerlicht.
Karl-Heinrich Bender verweigert sich dem Mitgefühl für die Familie. Lassen wir ihn nicht aus der Verantwortung! Gucken wir genau hin: Sehen wir den kleinen Jungen, das kleine Mädchen, fünfjährig, sechsjährig, siebenjährig, die in so einer Atmosphäre aufwachsen müssen. Sie sind dafür verantwortlich, ihren Vater, der sich so für den Herrn und die Gemeinde aufopfert, nicht ins "Unglück" zu stoßen. Sie müssen mit ihrer eigenen Frömmigkeit den Dienst ihres Vaters stützen. Sie müssen seinen Glauben und seinen Gehorsam teilen und mithelfen ein Zeugnis dafür zu sein, "was die umgestaltende Kraft des Evangeliums vermag". Niemanden interessiert, ob sie diese Kraft überhaupt spüren. Das wird einfach vorausgesetzt. Welche Verbiegungen, Verdrängungen, Ängste, Tabus, welchen unausgesprochenen Zwang zu frommer Heuchelei müssen die Kinder einer solchen Familie ertragen. Sie saugen mit der Vatermilch ein, dass der Schein wichtiger ist als das Sein. Sie müssen ein Bild aufrecht erhalten und etwas darstellen, was sie nicht sind, um keine Schande über die Familie zu bringen.
Und niemand ist da, der dem Gottesknecht und der Gemeinde in den Arm fällt und die Kinder beschützt. Alle lesen ja nur die Bibel und den "Reichsgottesarbeiter" und nicken beifällig. Auch die Mutter kann es nicht, obwohl es ihre Pflicht wäre. Es ist ja auch so ein wichtiger Dienst! Es geht doch um das ewige Seelenheil vieler Menschen, um die Bewahrung der Gemeinde. Wie sollte sie ihrem Mann und der versammelten Autorität der Gemeinschaft Einhalt gebieten? Das wäre doch "ungeistlich" und ein "Unglück" für ihren Mann und die Gemeinde.
Unsagbar großen und reichen Segen verspricht Karl-Heinrich Bender, wenn Dienst und Familie "unter der beherrschenden Macht Jesu Christi und seines Evangeliums stehen". Aber ist es für die Kinder nicht vielmehr ein Fluch? Doch halt, wir haben da was missverstanden! Es ist ein Segen für den Gottesknecht und die Gemeinde, meint Herr Bender, nicht für die Familie. Die ist nur Mittel zum Zweck. Da schaut man nicht hin. Nur schnell die Bibel aufschlagen und lesen was Gottes Wort von einem verlangt!
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