Weihnacht

Es war dunkel und kalt, aber glücklicherweise nicht nass. Die Familien saßen daheim im Warmen bei Weihnachtsbaum und Kerzenschein. Es war Heilig Abend. Ich lief die Gasselstiege entlang, am Biobauern vorbei und immer geradeaus. Da sah ich auf einmal, wie sich vor mir in der Ferne ein überirdischer Schein auf der Straße manifestierte. Nach kurzer Zeit erkannte ich einen etwa dreißigjährigen Mann mit hagerem Gesicht, langen Haaren und einem hellen Gewand. Seine Füße steckten in staubigen Sandalen und auf seinem Kopf saß eine Dornenkrone. Seine ganze Gestalt war erleuchtet, strahlte aus sich heraus einen Glanz, der aber nur sich selbst erhellte und kein Licht auf die Umgebung fallen ließ. Langsam kam der Mann auf mich zu. Nach einiger Zeit konnte ich sein Gesicht genau erkennen. Seine Augen blickten sanft, freundlich und gütig. Er sah mich unverwandt an. Da blieb er vor mir stehen.

"Bist Du Jesus?" fragte ich.

"Ich bin's," antwortete er.

Ich sah ihn an. Er sah genauso aus wie auf alten Gemälden und in der Kinderbibel. Er sagte nichts. Auch ich schwieg.

"Ich hatte geglaubt, dass du tot bist," sagte ich nach einer Weile.

"Ich lebe, und du sollst auch leben," antwortete Jesus. "Komm her zu mir."

Ich trat näher.

Ehe ich mich versah, hatte Jesus mit seinem rechten Arm ausgeholt und eine knallharte Gerade in meiner Magengrube gelandet. Ich knickte ein, stöhnte auf, japste nach Luft und hielt mir den Bauch. Da traf mich seine Linke voll in die Seite. Das warf mich vollends um. Ich fiel auf die Straße und wand mich vor Schmerz.

Jesus beugte sich mit mitleidigem Antlitz über mich und zog etwas unter seinem Gewand hervor. Es war ein Messer. Er setzte es unterhalb des Bauchnabels an und schlitzte mich bis zum Hals auf. Dann warf er es von sich und brach mit bloßen Händen meinen Brustkorb auf. Mit einem Griff hatte er mein Herz gepackt und riß es aus der Brusthöhle heraus. Das Blut schoß als hohe Fontäne heraus und durchtränkte sein Gewand.

"Das gehört nun mir," sagte er mit seiner milden, freundlichen Stimme und biss zu. Kaute, schmatzte, aß und schlang es ganz in sich hinein.

Ich wachte auf. Um mich herum war es hell. Ein Scheinwerfer strahlte mich an. Über mir sah ich das entsetzte Gesicht eines jungen Polizisten. Er wandte sich ab und erbrach sich.

Es war kein Traum.

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